Gespräch am Marktbrunnen
Eine Szene von „Kultur am Stift“ mit 3 Personen: Prof. Zeitler, der
Künstler eine Fragenstellerin eine Anthroposophin
Grüß Gott. Herr Zeitler, sagen Sie uns
hier doch bitte…
Herr Professor
Zeitler
bitte!
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Professor Zeitler (Bild Stadtarchiv) |
Gut, so sei es dann. Herr Professor,
sagen Sie uns also bitte hier etwas zu Ihrer Gestaltungsidee, diesen Brunnen
betreffend. Sie hatten sich ja zu diesem Gespräch bereit erklärt.
Ja, nun gut. Gut. Aber bitte, wer ist die Dame
hier?
Grüß Gott! Also, das ist so: Ich
war immer schon überrascht und auch erfreut über diese vier Köpfe hier
oben und würde gerne die Gelegenheit nutzen, um Sie…
Halt! Nein, erst ich. Die erste Frage
natürlich zu ihren beiden Schwätzweibern hier oben. Wie kamen Sie denn zu…
Also erst einmal und zum wiederholten Male, meine
Dame! Ich mag diese Begrifflichkeit nicht. Schwätzweiber! Das ist wirklich
Geschwätz. Es geht um mehr, es geht um Tieferes - wenn auch im, nun ja, profanen
Kontext des Marktes, der hier stattfindet.
Profan sagen Sie?
Streiten wir nicht um Worte! Sagen wir… volkstümlich…
Gut. Der Markt hat doch schließlich eine
sehr große Bedeutung. Nicht nur, um einzukaufen. Er hat eine geradezu soziale
Funktion für die kleine Stadt.
Ja eben, eben. Darum geht´s. Das wollte ich ja
auch thematisieren mit meiner künstlerischen Arbeit. Deswegen habe ich sie „Das
Geheimnis“ genannt. „Das Geheimnis“. Verstehen
Sie? Das ist mehr, das ist – tiefer. Psychologischer. Nicht einfach nur platt humoristisch!
Ja, ich verstehe, gut. Ich will aber - verzeihen
Sie - auch kritisch fragen: Ist nicht die etwas grobe Form der Figuren schuld
daran, dass die Sindelfinger einen solchen Namen…
Hören Sie auf! Schauen Sie sich doch meine Werke
an! In Stuttgart am Eberhardsbau, am Kunstgebäude von Theodor Fischer, der viel
geliebte Hans-im-Glück-Brunnen. Und unendlich viele andere. Alles anerkannte Meisterwerke!
Ja, gut, und? Was hat das mit…
Wer hat das hier denn hergestellt? Bitte? Der
Sindelfinger Gemeinderat wollte ja nichts zahlen! Etwas Künstlerisches, ja, ja!
Aber es soll nichts kosten! Da hatte dann der Sindelfinger – wie soll ich ihn
nennen? – Steinhauer oder meinetwegen Steinbildhauer, also der Schäfer seine
Finger im Spiel. Der kann doch nur grobe Formen! So sieht´s hier dann eben aus,
wenn man sparen will.
Also, das sehen wir Sindelfinger aber
etwas anders. Denn unser Schäfer, der…
Aber bitte! Bitte! Wir haben wenig
Zeit. Lassen Sie mich doch jetzt endlich noch etwas zu den vier Köpfen fragen.
Auch die Buchstaben darunter zeigen es ja, Professor Zeitler: Sie haben hier
die vier menschlichen Temperamente thematisiert.
Ja, ganz
richtig. Das hat mit... Übrigens - diese Köpfe hat Ihr Bürgermeister in einem
Brief „Charakterfratzen“ genannt. „Fratzen“! Sindelfingen!
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Brief von Zeitler an den Bürgermeister Hörmann, 1927. Der Brief kam aus Lugano. (Stadtarchiv) |
Also, was mich da interessiert ist
nun…
Das hat natürlich mit dem Thema Menschen auf dem
Markt zu tun. Verstehen Sie? Ich als Künstler verstehe meine Arbeit doch
tiefer, grundsätzlicher. Ich hatte den Sindelfingern auch einen „Brunnen der Tugenden“
vorgeschlagen; den wollten sie ja nicht. Einen „Brunnen der fünf Sinne“ - auch nicht! Merken Sie etwas? Na?
Und die vier Temperamente?
Ach, das hat doch überhaupt niemand wahrgenommen.
Ich glaube bis heute nicht.
Wie kamen Sie denn auf die vier Temperamente?
Denn die sind doch…
Das habe ich doch schon…
Nein, nein. Haben Sie noch nicht! In
Ihren Worten: Das ist doch tiefer gehend.
Also nochmal gefragt. Soviel ich weiß:
Die uralte Temperamentenlehre vertritt doch niemand mehr, Professor Zeitler…
Das ist doch jetzt das Thema! Wie
kommen Sie, Professor Zeitler, dazu, den Phlegmatiker, den Sanguiniker, den
Choleriker und den Melancholiker hier darzustellen? Hier an diesem Brunnen! Das
interessiert mich! Kennen Sie denn Rudolf Steiner?
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Die vier Temperamente (bei "Anthrowiki") |
Ja, ja, als Stuttgarter Künstler kenne ich den
Anthroposophen Steiner natürlich. Seine erste Waldorf-Schule steht ja seit
einiger Zeit in Stuttgart. Er war oft da, er ist künstlerisch sehr
interessiert. Mag sein, dass ich da von mancher dieser Diskussionen um ihn schon
beeinflusst worden bin und…
Und er arbeitet ganz dezidiert mit
den vier Temperamenten! Er hat da auch Goethes Ideen wieder aufgegriffen. Er redet von der viergliedrigen Wesenheit,
die mit den Temperamenten einen Zusammenhang bildet. So wie Paracelsus!
Aha, Paracelsus!
Ja, genau! Schön gesagt. Sehr schön. Ich bin überrascht. Also, das
Viergliedrige...
…von dem physischen
Leib, dem Ätherleib, dem Astralleib und schließlich vom eigentlichen
menschlichen Ich. Nur, wenn man auf diese ganze Wirklichkeit sieht, zu der auch
das Geistige gehört, wenn man nicht bloß bei dem sinnlich Wirklichen bleibt,
kann aus der Erkenntnis Lebenspraxis folgen. Sagt Steiner.
Aha! Sagt der Steiner. Nun, ich freue mich, dass
mein Marktbrunnen, um den so viele Menschen sich bewegen, eine solche
Nachdenklichkeit bewirkt. In solche Welten führt! Trotz allem. Bin überrascht.
Was reden wir denn hier? Wir denken
alle, dass dies doch nur der Schwätzweiber…, äh, Marktbrunnen ist. Er hat also
ein Geheimnis oben drauf.
Halt! Ich bin am Überlegen. Das gefällt mir, hier
nicht nur ein kleines, neugierig besprochenes Geheimnis zu sehen, sondern ein viel
größeres, das hinter dem Muschelkalkstein verborgen ist: Das Geheimnis des
Lebens!
Na, ich weiß nicht! Wegen der vier
Köpfe! Ist das nicht ein bisschen…Also…
Mir gefällt diese Idee! Das
Geheimnis!
Sehen Sie! Sehen Sie! Ich habe es doch dem
Schultheiß Hörmann geschrieben. Dieser Brunnen gehört zu den originellsten
Brunnen Deutschlands. Habe ich ihm geschrieben! Und er, und er - hat darauf
nicht geantwortet!
Also, Sie sind aber ein - Choleriker!
Wieso denn? He! Wieso?
) |
Charakterkopf "C" = Choleriker am Brunnen (Foto: phil) |
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Zukunftsvision vom gestalteten Brunnen (Bild: Klaus Philippscheck) |