13 Februar 2024

Gespräch am Marktbrunnen

Eine Szene von „Kultur am Stift“ mit 3 Personen:                                       Prof. Zeitler, der Künstler                                                              eine Fragenstellerin                                                                    eine Anthroposophin

 

Grüß Gott. Herr Zeitler, sagen Sie uns hier doch bitte…

Herr Professor Zeitler bitte!

Professor Zeitler (Bild Stadtarchiv)

Gut, so sei es dann. Herr Professor, sagen Sie uns also bitte hier etwas zu Ihrer Gestaltungsidee, diesen Brunnen betreffend. Sie hatten sich ja zu diesem Gespräch bereit erklärt.

Ja, nun gut. Gut. Aber bitte, wer ist die Dame hier?

Grüß Gott! Also, das ist so: Ich war immer schon überrascht und auch erfreut über diese vier Köpfe hier oben und würde gerne die Gelegenheit nutzen, um Sie…

Halt! Nein, erst ich. Die erste Frage natürlich zu ihren beiden Schwätzweibern hier oben. Wie kamen Sie denn zu…

Also erst einmal und zum wiederholten Male, meine Dame! Ich mag diese Begrifflichkeit nicht. Schwätzweiber! Das ist wirklich Geschwätz. Es geht um mehr, es geht um Tieferes - wenn auch im, nun ja, profanen Kontext des Marktes, der hier stattfindet.

Profan sagen Sie?

Streiten wir nicht um Worte! Sagen wir… volkstümlich…

Gut. Der Markt hat doch schließlich eine sehr große Bedeutung. Nicht nur, um einzukaufen. Er hat eine geradezu soziale Funktion für die kleine Stadt.

Ja eben, eben. Darum geht´s. Das wollte ich ja auch thematisieren mit meiner künstlerischen Arbeit. Deswegen habe ich sie „Das Geheimnis“ genannt.  „Das Geheimnis“. Verstehen Sie? Das ist mehr, das ist – tiefer. Psychologischer. Nicht einfach nur platt humoristisch!

Ja, ich verstehe, gut. Ich will aber - verzeihen Sie - auch kritisch fragen: Ist nicht die etwas grobe Form der Figuren schuld daran, dass die Sindelfinger einen solchen Namen…

Hören Sie auf! Schauen Sie sich doch meine Werke an! In Stuttgart am Eberhardsbau, am Kunstgebäude von Theodor Fischer, der viel geliebte Hans-im-Glück-Brunnen. Und unendlich viele andere. Alles anerkannte Meisterwerke! 

Ja, gut, und? Was hat das mit…

Wer hat das hier denn hergestellt? Bitte? Der Sindelfinger Gemeinderat wollte ja nichts zahlen! Etwas Künstlerisches, ja, ja! Aber es soll nichts kosten! Da hatte dann der Sindelfinger – wie soll ich ihn nennen? – Steinhauer oder meinetwegen Steinbildhauer, also der Schäfer seine Finger im Spiel. Der kann doch nur grobe Formen! So sieht´s hier dann eben aus, wenn man sparen will.

Also, das sehen wir Sindelfinger aber etwas anders. Denn unser Schäfer, der…

Aber bitte! Bitte! Wir haben wenig Zeit. Lassen Sie mich doch jetzt endlich noch etwas zu den vier Köpfen fragen. Auch die Buchstaben darunter zeigen es ja, Professor Zeitler: Sie haben hier die vier menschlichen Temperamente thematisiert.

 Ja, ganz richtig. Das hat mit... Übrigens - diese Köpfe hat Ihr Bürgermeister in einem Brief „Charakterfratzen“ genannt. „Fratzen“! Sindelfingen!

Brief von Zeitler an den Bürgermeister Hörmann, 1927. Der Brief kam aus Lugano. (Stadtarchiv)

Also, was mich da interessiert ist nun…

Das hat natürlich mit dem Thema Menschen auf dem Markt zu tun. Verstehen Sie? Ich als Künstler verstehe meine Arbeit doch tiefer, grundsätzlicher. Ich hatte den Sindelfingern auch einen „Brunnen der Tugenden“ vorgeschlagen; den wollten sie ja nicht. Einen „Brunnen der fünf Sinne“ -  auch nicht! Merken Sie etwas? Na?

Und die vier Temperamente?

Ach, das hat doch überhaupt niemand wahrgenommen. Ich glaube bis heute nicht.

Wie kamen Sie denn auf die vier Temperamente? Denn die sind doch…

Das habe ich doch schon…

Nein, nein. Haben Sie noch nicht! In Ihren Worten: Das ist doch tiefer gehend.

Also nochmal gefragt. Soviel ich weiß: Die uralte Temperamentenlehre vertritt doch niemand mehr, Professor Zeitler…

Das ist doch jetzt das Thema! Wie kommen Sie, Professor Zeitler, dazu, den Phlegmatiker, den Sanguiniker, den Choleriker und den Melancholiker hier darzustellen? Hier an diesem Brunnen! Das interessiert mich! Kennen Sie denn Rudolf Steiner?

Die vier Temperamente (bei "Anthrowiki")

Ja, ja, als Stuttgarter Künstler kenne ich den Anthroposophen Steiner natürlich. Seine erste Waldorf-Schule steht ja seit einiger Zeit in Stuttgart. Er war oft da, er ist künstlerisch sehr interessiert. Mag sein, dass ich da von mancher dieser Diskussionen um ihn schon beeinflusst worden bin und…

Und er arbeitet ganz dezidiert mit den vier Temperamenten! Er hat da auch Goethes Ideen wieder aufgegriffen.  Er redet von der viergliedrigen Wesenheit, die mit den Temperamenten einen Zusammenhang bildet. So wie Paracelsus!

Aha, Paracelsus!  Ja, genau! Schön gesagt. Sehr schön. Ich bin überrascht. Also, das Viergliedrige...

…von dem physischen Leib, dem Ätherleib, dem Astralleib und schließlich vom eigentlichen menschlichen Ich. Nur, wenn man auf diese ganze Wirklichkeit sieht, zu der auch das Geistige gehört, wenn man nicht bloß bei dem sinnlich Wirklichen bleibt, kann aus der Erkenntnis Lebenspraxis folgen. Sagt Steiner.

Aha! Sagt der Steiner. Nun, ich freue mich, dass mein Marktbrunnen, um den so viele Menschen sich bewegen, eine solche Nachdenklichkeit bewirkt. In solche Welten führt! Trotz allem. Bin überrascht.

Was reden wir denn hier? Wir denken alle, dass dies doch nur der Schwätzweiber…, äh, Marktbrunnen ist. Er hat also ein Geheimnis oben drauf.

Halt! Ich bin am Überlegen. Das gefällt mir, hier nicht nur ein kleines, neugierig besprochenes Geheimnis zu sehen, sondern ein viel größeres, das hinter dem Muschelkalkstein verborgen ist: Das Geheimnis des Lebens!

Na, ich weiß nicht! Wegen der vier Köpfe! Ist das nicht ein bisschen…Also…

Mir gefällt diese Idee! Das Geheimnis!

Sehen Sie! Sehen Sie! Ich habe es doch dem Schultheiß Hörmann geschrieben. Dieser Brunnen gehört zu den originellsten Brunnen Deutschlands. Habe ich ihm geschrieben! Und er, und er - hat darauf nicht geantwortet!

Also, Sie sind aber ein - Choleriker!

Wieso denn? He! Wieso?

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Charakterkopf "C" = Choleriker am Brunnen (Foto: phil)


Zukunftsvision vom gestalteten Brunnen (Bild: Klaus Philippscheck)





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