21 November 2023

 Das älteste Kunstwerk und die neueste Technik

Was also bedeutet uns die Erkenntnis, dass das Relief von 1477 in der Sindelfinger Martinskirche an einem historisch und theologisch falschem Platz hängt? (Siehe früherer Blog-Eintrag.) Aus der Wand kann das große, schwere Relief deswegen nicht herausgerissen werden. Also kann "nur" mit einer Kopie gearbeitet werden, um für diese dann einen Platz zu finden, der dem historischen Platz so nahe wie möglich kommt. Wie könnte aber eine Kopie hergestellt werden, wenn die schwere Steintafel in der Wand bleiben muss?

Nun, heutzutage kann eine Lösung gefunden werden und die heißt: 3-D-Druck. Das Relief kann an seinem Platz mit einem 3-D-Scan abgetastet werden; die Daten werden einer Spezialfirma übermittelt, die damit einen 3-D-Druck herstellt - und dieser dient als Grundform für einen Bronzeguss. 

das uralte Sandsteinrelief wird abgescannt

Die Hilfe eines Unternehmens beim Scannen, die vielfältige Unterstützung durch die Schaufler-Stiftung, das Kulturamt, die Kirchengemeinde, dem Verein Fokus, weiterem privaten Engagement - das alles ermöglichte es unserer Initiative "Kultur am Stift", dies kaum für möglich gehaltene Projekt zu realisieren. Seit einem informativen Einweihungstermin in der Martinskirche, der die kulturgeschichtlichen Hintergründe mit Bildmaterial und Szenen präsentierte, steht nun eine eindrucksvolle Kopie des spätgotischen Kunstwerks im Klosterareal - nahe dem historischen Standort. Sie wertet den uralten Kulturbereich um die Martinskirche herum weiter auf.   
Arbeit in der Bronzegießerei Strassacker

Da der dazugehörige, ehemalige Klostergarten mittlerweile ein großer Schulkomplex ist, hoffen wir auch, dass die eindrückliche Schönheit des Bronzereliefs dabei hilft, vielen jungen Menschen die Bedeutung dieses Ortes deutlich werden zu lassen.

der Standort des Bronzereliefs - rechts historische Klostergebäude
(Fotos: Klaus Philippscheck)

Besuchen Sie dieses Bronzerelief und schauen Sie sich bitte auch das Original im Nordwesteck der Martinskirche an.


19 November 2023



Falscher Standort fürs Relief?

 Im Verlauf der Beschäftigung mit der uralten Martinskirche fiel uns auf, dass das Sandsteinrelief von 1477, das zu den wenigen bedeutenden Ausstattungsstücken der Kirche gehört, sehr unglücklich platziert worden ist: Sein Platz - seit 1973 - im nordwestlichen, also dunkelsten Eck der Kirche ist seiner kunsthistorischen und theologischen Bedeutung nicht angemessen. Niemals wäre ein Werk, das neben dem "Schmerzensmann" Christus die beiden bedeutendsten damaligen Herrschergestalten Württembergs zeigt, in solch ein abseitiges Eck  gehängt worden; zumal West- und Nordseite eines Gotteshauses einst theologisch negativ belegt waren. Wir zitieren hier mal die Googlesuche: "Der Norden wurde meist mit dem Teufel und dem Bösen assoziiert, während der Westen oft als Ort des Todes und der Dunkelheit angesehen wurde."

Dort kann das Relief im Jahr 1477 also auf gar keinen Fall aufgehängt worden sein! Und nicht zu vergessen: Die mittelalterliche Kirche ist geteilt gewesen. Die Schranke des Lettners trennte die Kirche immer in zwei Teile:  im Osten der abgehobene Chor mit dem aufwendigen Hauptaltar, ein Bereich, der nur vom Klerus, also in Sindelfingen von den Chorherren betreten werden durfte; im Westen, also unten, der Bürgerbereich mit seinem bescheidenen Volksaltar. Da sich der lateinische Weihetext von 1477 auf das neue, "heilige" Kloster bezieht, wäre übrigens auch der Chorbereich nicht der richtige Ort für das Relief: Es geht beim Stiftungszweck nicht um den Kirchenbau, sondern um das Kloster als Institution.

Natürlich stellte sich dann die Frage, für welchen Ort das Relief eigentlich geschaffen worden war. Der über allen schwebende ermahnende Christus; die Stifterfiguren, die vom Reformkloster Vorbildfunktion erwarten; die lateinisch geschriebene Erinnerung an die Schutzfunktion der beiden Herrscherfiguren: Das alles ließ nur den Schluss zu, dass das Relief seinen Platz im Klosterbereich gefunden hatte, und zwar an prominenter Stelle. Unser fast vergessener Pfarrer und Historiker Ottmar Schönhuth half uns weiter: In seiner kleinen "Chronik der Stadt und des Stiftes Sindelfingen" von 1834 erwähnt er den Standort des Reliefs, das er selbst dort ja noch gesehen hat; und das war "am Eingang in den früheren Klosterhof". Und das stimmt mit unseren Überlegungen perfekt überein; heißt aber auch, dass man sich Gedanken machen muss, was das denn für das Relief bedeuten kann. 

aus Schönhuths "Chronik", Seite 24 (Privatbesitz)

So könnte der Klostereingang einst ausgesehen haben...
(Collage: Klaus Philippscheck)

Über unsere weiteren Überlegungen zu diesem Thema wird in einem folgenden Artikel berichtet...


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