19 November 2023



Falscher Standort fürs Relief?

 Im Verlauf der Beschäftigung mit der uralten Martinskirche fiel uns auf, dass das Sandsteinrelief von 1477, das zu den wenigen bedeutenden Ausstattungsstücken der Kirche gehört, sehr unglücklich platziert worden ist: Sein Platz - seit 1973 - im nordwestlichen, also dunkelsten Eck der Kirche ist seiner kunsthistorischen und theologischen Bedeutung nicht angemessen. Niemals wäre ein Werk, das neben dem "Schmerzensmann" Christus die beiden bedeutendsten damaligen Herrschergestalten Württembergs zeigt, in solch ein abseitiges Eck  gehängt worden; zumal West- und Nordseite eines Gotteshauses einst theologisch negativ belegt waren. Wir zitieren hier mal die Googlesuche: "Der Norden wurde meist mit dem Teufel und dem Bösen assoziiert, während der Westen oft als Ort des Todes und der Dunkelheit angesehen wurde."

Dort kann das Relief im Jahr 1477 also auf gar keinen Fall aufgehängt worden sein! Und nicht zu vergessen: Die mittelalterliche Kirche ist geteilt gewesen. Die Schranke des Lettners trennte die Kirche immer in zwei Teile:  im Osten der abgehobene Chor mit dem aufwendigen Hauptaltar, ein Bereich, der nur vom Klerus, also in Sindelfingen von den Chorherren betreten werden durfte; im Westen, also unten, der Bürgerbereich mit seinem bescheidenen Volksaltar. Da sich der lateinische Weihetext von 1477 auf das neue, "heilige" Kloster bezieht, wäre übrigens auch der Chorbereich nicht der richtige Ort für das Relief: Es geht beim Stiftungszweck nicht um den Kirchenbau, sondern um das Kloster als Institution.

Natürlich stellte sich dann die Frage, für welchen Ort das Relief eigentlich geschaffen worden war. Der über allen schwebende ermahnende Christus; die Stifterfiguren, die vom Reformkloster Vorbildfunktion erwarten; die lateinisch geschriebene Erinnerung an die Schutzfunktion der beiden Herrscherfiguren: Das alles ließ nur den Schluss zu, dass das Relief seinen Platz im Klosterbereich gefunden hatte, und zwar an prominenter Stelle. Unser fast vergessener Pfarrer und Historiker Ottmar Schönhuth half uns weiter: In seiner kleinen "Chronik der Stadt und des Stiftes Sindelfingen" von 1834 erwähnt er den Standort des Reliefs, das er selbst dort ja noch gesehen hat; und das war "am Eingang in den früheren Klosterhof". Und das stimmt mit unseren Überlegungen perfekt überein; heißt aber auch, dass man sich Gedanken machen muss, was das denn für das Relief bedeuten kann. 

aus Schönhuths "Chronik", Seite 24 (Privatbesitz)

So könnte der Klostereingang einst ausgesehen haben...
(Collage: Klaus Philippscheck)

Über unsere weiteren Überlegungen zu diesem Thema wird in einem folgenden Artikel berichtet...


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