28 Mai 2010

MAUERGESCHCHTE(N)

am Chor der Martinskirche
Großes Interesse fand der historische Spaziergang an der uralten Klostermauer um den Klostergarten herum. Zum 16. Mai 2010 hatte "Kultur am Stift" eingeladen, die in großen Teilen noch stehende Mauer des ehe-maligen Klostergartens zu umrunden und dabei Blicke in die Vergangenheit Sindelfingens zu werfen. Los ging es an der Apsis der Martinskirche - unter der Führung von Brigitta Hahn, Ursula Kehrer und Margot Uhel.

In einigen kleinen, historischen Szenen diskutierten dann Chorherren voller Ärger die bevorstehende Gründung der Stadt Sindelfingen; zeigte sich ein Augustiner-Prior arrogant gegenüber einem Bauern; sprach der herzogliche Schultheiß Hagdorn die komplizierten Besitzverhältnisse nach der Reformation an und deutete die Pfarrersfrau Else in ihrem Fenster in der Mauer die Spuren der Geschichte im Mauerwerk. (Siehe folgendes Bild.)
die Pfarrfrau Else (für einen kleinen Film unten klicken)

Und immer wurden dabei nicht nur die historische Einzelheiten angesprochen; sondern die hinter den Ereignissen stehenden kulturhistorischen und sozialen Dimensionen sollten deutlich gemacht werden. Dies ist der immerwährende Anspruch der Initiative "Kultur am Stift"...

Fast 100 interessierte Zuhörerinnen und Zuhörer waren fasziniert davon, dass eine bescheidene Mauer ein solch buntes Geschichtskaleidoskop aufscheinen lassen konnte. So werden sie diese Steine in Zukunft mit anderen Augen anschauen, durch die Steine hindurch Gestalten unserer Vergangenheit huschen sehen. Wieder einmal ergänzten sich so der bunte Handwerkermarkt und die lebendigen Szenen von Kultur am Stift. 

(Mit Dank an die jeweiligen Fotografen; und ans Stadtarchiv Sindelfingen für das obige alte Foto der Klostermauer.)

15 Februar 2010

Zu Unrecht vergessen: 
Christoph Friedrich Grieb

Im November 2009 hat Kultur am Stift ein neues Kapitel seiner Themen aufgeschlagen: "Vergessene Sindelfinger" nennt sich die Veranstaltungsreihe, die mit einem Kosmopoliten begann, der wieder aus dem Dunkel der Geschichte gehoben wurde.
Griebs Geburtshaus in der
Ziegelstraße 

Christoph Friedrich Grieb hieß der aus einfachen Verhältnissen stammende Sindelfinger, der sich in einer beeindruckenden Art und Weise zu einer allseitig interessierten und gebildeten Persönlichkeit entwickelte. (Rechts sein heute noch stehendes Geburtshaus in der Ziegelstraße.)Kein Thema gab es, das ihn nicht begeistert hätte - aber immer sah Grieb die Nutzung dieses Wissens im Zusammenhang mit der Gerechtigkeitsfrage:

Die rasende Veränderungen der Lebenswelt in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts drohten zu sozialen Katastrophen zu werden - das sah er früh. Im Paris der 30er Jahre - im Schmelztiegel neuer, auch utopischer Ideen; zwischen Tausenden von politischen Flüchtlingen - begeisterte sich Grieb für die Ideen des Frühsozialisten Charles Fourier. Er wurde nach New York geschickt, um auch dort für die utopischen, genossenschaftlichen Lebens- und Arbeitsformen des berühmten Franzosen zu werben - zum Beispiel im noch unerschlossenen Texas.
Modell von Fouriers utopischer Siedlung "Phalanstères"
(aus August Bebels Buch über Fourier)

In London erarbeitete er ein neues deutsch-englisches Wörterbuch, da ihm klar war, dass Englisch die Sprache der Zukunft sein würde. Besonderen Wert legte er dabei auf den
naturwissenschaftlichen Teil. Alle technischen Entwicklungen beobachtete er genau, übersetzte große französische Journale der Wissenschaften ins Deutsche.

Die 1848er Revolution sah in wieder in der Heimat, in Stuttgart. Hier engagierte er sich vehement für genossenschaftliche Sozialstrukturen; warb auch in seiner Heimatstadt für seine Landtagskandidatur. Immer war Grieb aber dabei geprägt von einem tiefen christlichen Gerechtigkeitssinn: "Was nicht zur Tat wird, hat keinen Wert!"

Griebs Schrift gegen die Sklaverei

Als Journalist, Sprachlehrer und fleißiger Übersetzer verdiente er sein Geld. Seine Übersetzungen berühmter englischer und französischer Autoren fanden viele Leser. Mit Dickens, Bronte, Thackeray, Dumas u.a. waren es Schriftsteller, die einen kritischen Blick auf die Entwicklung der europäischen Gesellschaft warfen. Typisch für ihn: Seine Übersetzung der Lebensgeschichte eines entflohenen Negersklaven, mit der er heftig gegen die nordamerikanische Sklaverei protestierte.

Christoph Friedrich Grieb starb, gerade 50 Jahre alt geworden, 1861 in Stuttgart. Interessant ist auch die Zusammenarbeit mit dem Sindelfinger Stiftsgymnasium, das sich auch dieser Persönlichkeit widmen wird. Die Initiative Kultur am Stift steht mit seinem letzten direkten Nachkommen, dem hochbetagten Engländer Kenneth Grieb, in engem Kontakt.
unser englischer Freund: Kenneth Grieb


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