Eine ganz spezielle Sonnenuhr
an der Südseite des Turms der Martinskirche (Collage: phil) |
An der Südseite einiger sehr alter Kirchen findet man selten noch eine seltsame, kleine Sonnenuhr: ein Halbkreis, durch drei (manchmal mehr) Linien unterteilt. Ihre sehr regelmäßige Form, die nicht dem jeweiligen Standort angepasst ist und also keine „Uhrzeit“ ablesen lässt, verweist auf einen symbolischen Charakter: Es dreht sich um eine „Kanonische Sonnenuhr“. Und solch eine besitzen wir tatsächlich auch in Sindelfingen – an der Südseite des mächtigen Kirchturms der Martinskirche. Man muss aber sehr genau hinschauen.
Was ist nun
die Funktion einer „Kanonischen Sonnenuhr“ gewesen?
Sie gehört
in ein klösterliches Umfeld und verweist auf die klösterliche Zeitordnung.
Diese geht auf die Regeln des Klosters auf dem Monte Cassino in Italien zurück,
die Benedikt von Nursia um das Jahr 540 nach Christus aufgestellt hat und die
zu einer allgemeinen Regel wurde. Sieben über Tag und Nacht verteilte Gebete
der Mönche sollten an die Passion Christi erinnern. Die Kanonische Sonnenuhr
setzt bei Sonnenaufgang oder etwas später ein: Da war die PRIM zu beten, bei
Sonnen-untergang verweist die Sonnenuhr auf die VESPER. Die drei dazwischen verbleibenden
Gebete werden in Dreistundenabständen, genannt hora tertia, hora sexta und hora
nona, angezeigt. Die Sonnenuhr verweist also logischerweise auf die fünf
Tagesgebete.
die Sindelfinger Sonnenuhr (Foto: phil) |
Kanonische Sonnenuhr, 4er-Teilung, Reutte/Tirol (Foto: Wikipedia, K.Schwarzinger) |
Diese Pflichten nie zu vergessen ermahnt also unsere symbolische Sonnenuhr. Verstärkt wurde dieser Hinweis durch einen kleinen Stab, der mit seinem wandernden Schatten an die vergehende Zeit erinnert. (Deshalb die Lage an der Südseite der Klosterkirche.) Das kleine Loch für den Stab ist an der Sindelfinger Turmwand noch zu sehen; dass die kleine Sonnenuhr dort fast 500 Jahre – also seit der Auflösung des Klosters - ohne Funktion überlebt hat, ist ein kleines Wunder. Eigentlich ist sie wohl so alt wie der Turm, also 900 Jahre, und es ist angemessen, beim Vorübergehen einen Blick auf sie zu werfen.
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