23 Februar 2024

Architektur-Ensemble Stumpengasse 1

Kümmern wir uns noch einmal um das Thema "Bürgermeister Gußmann". Gußmann besaß in der Stumpengasse 1 einen der größten Hauskomplexe in der Stadt und dazu erheblichen Landbesitz. Der Plan unten zeigt die für Sindelfingen außergewöhnliche Struktur, die wir sonst in größeren, reicheren Städten kennen: Der repräsentative Teil des Komplexes zur Hauptstraße hin (hier: zur Langen Straße, der ehemaligen Hauptstraße); dann dahinter ein Hof mit Garten, weitere Wohngebäude nach hinten, bei Gußmann auch mit einer Galerie verziert. Und im Hintergrund Remise und Scheuer, durch die hindurch eine abgelegenere Parallelstraße zu erreichen ist - meistens die Situation reicher Kaufleute.

Der Innenhof von Stumpengasse 1 in den 60er Jahren: Links der Bau zur Langen Gasse hin, die Galerie führt nach rechts zum hinteren Komplex, der zur Turmgassse reicht. (Abb.: Stadtarchiv)

Plan von 1830 mit der Lage von
Stumpengasse 1


Dass ein solcher malerischer und einzigartiger Komplex noch in den 1970er Jahren abgerissen worden ist, kann nur als tragisch bezeichnet werden. Ein solches saniertes Ensemble wäre heutzutage der Höhepunkt jeder Stadtführung. 

In seinem Wohnhaus ließ Gußmann sich eine aufwendige Rokokostube einbauen, mit in Blautönen gehaltenen üppigen, von derb bis amourös reichenden Darstellungen auf der Holzvertäfelung - also eine typisch bürgerliche Rokoko-Struktur. Ihre Farbigkeit erinnert stark an Delfter Fliesentableaus, die damals in vielen Schlössern und Villen zu finden waren. Den Künstler hat Gußmann möglicherweise am Ludwigsburger Hof gefunden, wo er lange Jahre als Proviantmeister fürs Militär gearbeitet hatte. 

Im ehemaligen "Museum für Volkskultur" in Waldenbuch war der Salon bis 2012 aufgebaut. (Foto: phil)
Im damaligen Landstädtchen Sindelfingen, tief pietistisch geprägt, war dieser Salon ein prunkvolles, aber fremdartiges Unterfangen. Immerhin hatte die Stube die Größe von etwa 5 x 5,5 Meter, über die sich eine Holz-Kassettendecke spannte. Denkbar ist, dass der kleine Hausvorbau, den man gut erkennen kann, eigens für die Einrichtung eines solchen Salons im ersten Stock errichtet worden ist.

Die Bedeutung einer solchen seltenen bürgerlichen Rokoko-Stube ist  durchaus überregional - und es ist ein kleines Wunder, dass diese Stube alle Gefährdungen der letzten 250 Jahre überstanden hat. Wir hoffen auf eine Lösung, die dieses Kunstwerk wieder öffentlich zugänglich macht.

Porträt Bürgermeister Gußmann
(im Besitz des Stadtmuseums)



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