28 November 2023

Unser Mentor für die Poetischen Orte:            Tonino Guerra

von Klaus Philippscheck 

Tonino Guerra war in Santarcangelo di Romagna unweit nördlich von Rimini aufgewachsen – in einem ländlichen Markt, der die bäuerliche Kultur wie im Vergrößerungsglas sichtbar machte. Zum Lehrer ausgebildet, kam Tonino Guerra in die Welt des Films, der damals berühmt wurde, weil er soziale Sachverhalte spiegelte, auch mit Dialekten. Dann ging er nach Rom und wurde Drehbuchautor berühmter Filmemacher wie Antonioni, Fellini, Rosi, Taviani, Tarkowski. 

(Porträtfoto: Wikipedia)

Aber es zog den Dichter Guerra in seine Heimat zurück. Er beschrieb in Geschichten, Gedichten und Poemen den Untergang der bäuerlichen Kultur im Marecchia-Tal : als menschliche Tragödie - und zugleich machte er sichtbar, was an Schätzen in Natur und Kultur verloren ging – als Werte der Menschheit. 

Hoch über dem Fluß steht die kleine Stadt Pennabilli. Der dortige Barbier Gianni Giannini, ein außerordentlich gebildeter Mann, lockte den Dichter, indem er ihm ein altes Haus in einer landschaftlich phantastischen Lage anbot und es herrichtete.

 Und hier beginnt nun der zweite, konkrete Teil der Poetik: das Projekt der Poetischen Orte. Guerra und Giannini ließen sich von der Stadt ein Grundstück schenken und gestalteten darauf einen Garten: den „Orto dei frutti dimenticati“- den "Garten der vergessenen Früchte". Sie pflanzten Bäume mit Früchten, die es auf den Märkten nicht mehr gab, weil immer mehr Obst standardisiert geworden war  – hier aber konnte man die Äpfel und Birnen der Urgroßeltern und vieler Jahrhunderte sehen und schmecken.  Mit seinen magischen Texten und Skulpturen wurde der Garten zu einer kulturellen Herausforderung. 

im "Garten der vergessenen Früchte" (Foto: phil)

Es folgten weitere  anrührenden Orte, wo Phantasie mit einer Fülle von künstlerischen Einfällen überrascht und faszinierte Menschen anzieht. In der Region begann man zu merken, dass im Tal „die Wurzeln der Natur und der Menschheit“ lagen. Die Zahl der „Poetischen Orte“ wuchs und es folgten weitere  anrührenden Orte, wo heute Phantasie mit einer Fülle von künstlerischen Einfällen überrascht und ihre Faszination Menschen anzieht. In der Region begann man zu merken, dass im Tal „die Wurzeln der Natur und der Menschheit“ lagen. Mit der Kraft der dichterischen Sprache des berühmten Filmautors wurde dies wahrnehmbar. Es kamen Journalisten und schrieben darüber. 

der "Winkel der verlorenen Madonnen" (Foto: phil)
Horst Weber und ich besuchten Pennabilli 2004 und waren tief beeindruckt. Tonino Guerras Hinweis, dass diese Idee "wie ein Schiff reisen und überall anlegen" könne, um den "Genius loci", den typischen Charakter eines Orts zu fassen, leuchtete uns ein und wir begannen darüber in Sindelfingen zu berichten und für Sindelfinger Poetische Orte zu werben; für ein Gefühl für die Faszination des Einfachen, des Magischen, für die Verwobenheit von uns Menschen mit Traditionen, Erinnerungen und mit der Natur und ihren Kreaturen.

Tonino Guerra ist 2012 in seiner romagnolischen Heimatstadt  Santarcangelo verstorben.
T
typische Zeichnung von Tonino Guerra









Keine Kommentare:

häufig angeschaut