01 Februar 2024

Ein Sindelfinger Webmeister: Friedrich Ruthardt  

Immer wieder hat "Kultur am Stift" sich auch mit dem Thema der Sindelfinger Webereigeschichte befasst. Also geben wir hier auch ein kleines, aber typisches Beispiel.

An der Straße, die schnurgerade zum Böblinger Bahnhof führte und an ihrem südlichen Ende Böblinger Allee hieß, entstand 1896 direkt an der Markungsgrenze die Maschinenfabrik Emil Kabisch. Kabisch, aus Görlitz stammend und durch ein kostenloses Fabrikareal nach Sindelfingen gelockt, stellte vor allem auch Zusatzmaschinen zu Webmaschinen her. 

Noch im gleichen Jahr wurde hinter dem Fabrikgebäude ein Webereigebäude gebaut, in das die Stuttgarter Firma Bachert & Eppstein einzog, die ab 1904 als Bachert & Cie firmierte und "Crêpe de Santé" für Unterkleider webte; eine Stoffart, die "aus der Schweiz verpflanzt" worden war. Immerhin liefen da um die 50 Webstühle! 

Die Rechnung von 1905 zeigt den Fabrikkomplex an der Böblinger Allee. Am Westrand der
Allee das Ausflugslokal "Im Wiesengrund". (Rechnung im Privatbesitz.)

Werkführer für diese Firma war der nach Sindelfingen an die Böblinger Allee zugezogene Friedrich Ruthardt. Auch als die Firma dann ihre Besitzstruktur änderte und Schmid, Bachmann & Cie hieß, blieb er Werkführer. Seine Schwiegertochter erzählte, dass einmal im Jahr die Besitzerin, Frau Bachmann, aus der Schweiz kam, sich vom Werkmeister Ruthardt alles vorrechnen ließ und nach einem Tag in ihre Kaffeeplantagen nach Brasilien weiterreiste. Und die Sindelfinger ärgerten sich, weil Frau Bachmann immer in einem Böblinger Hotel übernachtete.

Familie Friedrich Ruthardt; mit Frau Katharina, geb. Zeile. Collage aus zwei Bildern. Für 
Familienfoto Dank an Frau Ruthardt, für Belegschaftsbild Bachert Dank an Horst Weber.

Auch, nachdem nach Ende des Ersten Weltkriegs die Firma Kabisch aufgelöst wurde und eine Aktiengesellschaft namens Optima, die bis 1919 Torgauer Stahlwerke AG hieß, das Fabrikgelände bezog, blieb Ruthardt in der Weberei tätig. Schmid, Bachmann & Cie löste sich auf und Ruthardt muss nun versucht haben, in der Weberei selbstständig weiterzumachen. Die Optima, die Waagen, aber auch Zubehör für Webereimaschinen produzierte, erweiterte sich aber 1927. Da wurde mit der erfolgreichen DEHOMAG, der Deutschen Hollerith-Maschinen Gesellschaft (Maschinen zum Verarbeiten von Lochkarten) ein Vertrag geschlossen, der neue Kapazitäten erforderte - und die Weberei aus dem Fabrikgelände verdrängte. (Die DEHOMAG gehörte damals schon weitgehend der amerikanischen Firma IBM.) Möglicherweise war dies auch eine Aktivität des neu aus Wien gekommenen Direktors Eugen Kaun.

Bauzeichnung 1926: Fabrikgebäude Ruthardt. Ab den
70er Jahren als Moschee genutzt. (Abb.: Stadtarchiv)

Webmeister Wilhelm Volz erzählte, dass Ruthardt dann einige Webmaschinen aufkaufte und mit ihnen in ein neu gebautes kleineres Fabrikgebäude zog, das der Optima an der Böblinger Allee genau gegenüber lag. Dort arbeitete Ruthardt, bis er in den letzten Kriegstagen noch eingezogen wurde. Da er aus dem Krieg nicht mehr zurückkehrte, vermietete seine Witwe die kleine Fabrik an einen Herrn Kölle, der bis zum Kriegsende bei der Sindelfinger Jacquardweberei Zweigart & Sawitzki beschäftigt war. Er arbeitete dieser großen Firma zu und erweiterte die Produktion. Sein Sohn Erich erbaute dann in Sindelfingen ein größeres Gebäude in der Vaihinger Straße. 

Diese Firma wurde etwa 1975 aufgegeben und Erich Kölle konnte dem Sindelfinger Webereimuseum eine noch in seinem Keller stehende Schaufelschaftmaschine stiften, die 20 Schäfte steuerte und mit der noch Schürzen mit Bordüren gewebt worden waren. Neben den Schürzen wurden auch Milchseihtücher für die Landwirtschaft gewoben und im Schweppelesgässle verkauft - auch das ist Sindelfingen. Ein interessantes Aperçu: Diese Schaufelschaftmaschine war bei der Firma Kabisch gebaut worden, von der wir schon erzählt haben.


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