03 August 2015

Magische Formeln in der Altstadt

die magische Helix in der Abtgasse

Ein Poetischer Ort erinnert an die Zeiten, als in und an den alten Fachwerkhäusern magische Formeln und  Formen die vielen drohenden Unglücksfälle in dieser engen Welt beschwören sollten: Feuer, Krankheiten, Unfälle, Unwetter...

Sie sind fast ganz verschwunden: Sprüche, Formen und Figuren ins Holz der Fassaden geschnitzt. Und in den Häusern gab es Bücher oder handschriftliche Hefte mit unzähligen magischen Formeln für und gegen alle möglichen Probleme: Sogenannte "Grimoires", also Zauberbücher, wie z.B. "Das sechste und siebte Buch Mosis", das "Romanus-Büchlein", das "Christoph-Gebet". Oft mühselig abgeschrieben, um Geld zu sparen oder auch um damit schon Wirkung fürs Haus, die Menschen und die Tiere zu provozieren. Beispiele dafür sind auch in Sindelfingen gefunden worden. Darunter auch die uralte Sator-Arepo-Formel, die als vierfaches magisches Palindrom vor allem die Feuersgefahr bannen sollte (siehe Bild). Sie findet sich am Holzfundament, das an einen alten Hauspfosten erinnern soll. Und dieses wiederum findet der Besucher in der Abtgasse, im Teil der Sindelfinger Altstadt, der einst besonders verwinkelt gewesen ist.  

die alte Sator-Arepo-Formel auf dem Sockel
Uns interessierte aber auch die dahinter stehende Weltsicht der Menschen; mit ihrer festen Überzeugung, dass sich hinter unserer Alltagswelt eine andere Welt mit guten, aber auch vielen bösen Mächten befindet, die durch die erwähnten magischen Praktiken beeinflusst werden können - sie müssen nur sehr genau befolgt werden. Genau diese Welt sollte das Kunstwerk der Holzbildhauerin Heike Endemann widerspiegeln - eine Aufgabe, die die Künstlerin mit ihrer helixartigen, drehbaren Stele großartig umgesetzt hat. 

Aber die Thematik führt weiter in unsere heutige Zeit hinein...


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Bei der Aufstellung des Kunstwerks: die Künstlerin Heike Endemann und die hilfreiche Firma Walker.

Denn beim Nachdenken über die an die Form der menschlichen DNA erinnernden Helix kommt eine ganz moderne Erkenntnis ins Spiel: Die Tatsache, dass auch die heutigen wissenschaftlichen Formeln und Formen einen klaren magischen Charakter haben. Denn in ihrer mathematischen Form und Abstraktion stellen sie auch nur Symbole dar, die die Struktur unserer Welt nur scheinbar präzise wiedergeben. Denn die ist nicht erkannt und wird vielleicht auch nie erkannt werden. So ist die nobelpreisgewürdigte Helix nicht die Lösung des Geheim-nisses des Lebens, sondern sie ist das Geheimnis des Lebens.


Schlussbild der am Projekt Beteiligten vor dem Kunstwerk (Fotos: Kultur am Stift)

Deshalb wandeln sich die auf der Stele angebrachten Zauberformeln beim Höherschrauben von den archaischen Beispielen Schritt um Schritt hin zu modernen wissen-schaftlichen Formeln - oder gar zum an der Börse genutzten Algorithmus, den wir auch als Beschwörungsformel verstehen.

(Kultur am Stift bedankt sich bei allen Unterstützern dieses Projekts, insbesondere auch für eine Spende von der Stiftung der Landesbank Baden-Württemberg - LBBW.)


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