31 August 2014

Sindelfinger Kabinettscheiben

Im Sindelfinger Stadtmuseum findet sich eine kleine, aber außergewöhnliche Besonderheit, auf die unsere Gruppe Kultur am Stift aufmerksam machen will: Es sind die Reste von einem bemalten Fenster des Ratssaals im ehemaligen Alten Rathaus in der Altstadt. 

Der Vogt, der Schreiber und drei Räte - im Stadtmuseum zu sehen 
(Abbildungen mit Dank an das Stadtmuseum)
Diese Restscheiben zeugen von den politischen Strukturen im Herzogtum Württemberg des Jahres 1660, weil die schön bemalten Gläser fast die gesamte bürgerliche Führungsschicht Sindelfingens zeigen - mit Namen, Funktion und Beruf. Unserer Meinung nach ist dies ganz selten, dass solche Scheiben erhalten sind. Schließlich haben sich im 19. Jahrhundert die Strukturen Schritt um Schritt verändert - und Vogt, Rat und Gericht gab es dann nicht mehr. Wieso sollte man sich noch um diese "veralteten" Scheiben, die zu zerbrechen begannen,  kümmern?

Deshalb wurden die im Alten Rathaus noch erhaltenen Scheiben ans Stuttgarter Königshaus verkauft, das - für die Sindelfinger wohl unverständlich - solche "altdeutschen" Stücke sammelte. Die schönen kleinen Sindelfinger Scheiben wurden mit anderen zusammengekauften "Kabinettscheiben" in die Fenster des Jagdschlosses im Klosterkomplex Bebenhausen eingebaut. Diese Originale kann der Besucher noch heute im sogenannten "Blauen Salon" sehen.

Also sind die Scheiben im Sindelfinger Stadtmuseum Kopien, eigens 1978 hergestellt, um an eine vergessene Vergangenheit zu erinnern. Was erzählen sie nun?

Der Vogt, dieser weitaus wichtigste Mann im damaligen Sindelfingen, ist im Bild und mit seinem Wappen zu sehen: Es ist Martin Alluny, der aus Siebenbürgen, damals also Ungarn, stammte. Neben ihm die zweitwichtigste und hoch gebildete Person: der Stadtschreiber. Das war 1661 der gerade ins Amt gekommene David Löhr, der Nachfolger seines Vaters war. Als Bürgermeister tauchen der Wundarzt Eisenlohr, der Schmied Michael Betz, der Zeugmacher Georg Seibold und mit einem Schaf im Wappen der Müller und "Salzmeister" Zacharias Schäfer auf.

die drei wichtigsten Sindelfinger Amtspersonen: der Vogt, der Stadtschreiber, der Bürgermeister

Man erkennt an den erhaltenen Scheiben, dass neben diesen Personen auch der gesamte Rat und das sogenannte "Gericht" dargestellt worden waren. Ihr Ornat und ihre jeweiligen Amts- oder Berufsattribute in ihren Händen zeigen, dass die Stadt den Künstler mit der repräsentativen Darstellung einer offiziellen Amtsversamm- lung beauftragt hatte.

Bei der Betrachtung dieser Scheiben erkennen wir, dass auch zu der kleinen Ackerbürgerstadt Sindelfingen bis ins 18. Jahrhundert die repräsentative Ausschmückung von Gebäuden - amtlichen oder privaten - gehört hat. Man hatte nicht nur Spaß am farbigen Aus- druck, sondern wollte auch mit bewussten Hinweisen durch Symbole und Allegorien auf die Bedeutung politischer und kultureller Strukturen hinweisen.



Die Schaffhauser Scheibe mit
einer pädagogischen Erzählung 
aus dem Altertum im Zentrum
Wir ergänzen dieses Thema mit dem Hinweis darauf, dass die Schweizer Partnerstadt Sindelfingens, das immer schon reiche Schaffhausen, für ihre Glasmalerdynastien berühmt war. Deswegen soll hier auch eine Abbildung einen Teil des Schweizer Gegenstücks zu den Sindelfinger Scheiben zeigen. Es ist im "Stadtmuseum zu Allerheiligen" zu besichtigen - und man erkennt dabei natürlich schnell die höhere Qualitätsstufe.

Dies nimmt uns aber nicht die Freude an unseren Sindelfinger Scheiben.



der fleißige Stadtschreiber Löhr


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